Beitrag von Laureen Sieber B.A., Institut für Soziologie, Technische Universität Chemnitz
Ich sitze in der Bahn auf dem Weg in die Innenstadt, als ich neben mir ein Auto mit Reflektoren sehe – blaue Streifen, der Schriftzug „POLIZEI“. Darin zwei Personen in Uniform, ihre Gesichter erkenne ich nicht. In meinem Leben habe ich schon viele Polizeifahrzeuge vorbeifahren sehen, unzählige Schilder mit dem Wort POLIZEI gelesen und Schlagzeilen über Einsätze verfolgt – aber noch nie persönlich mit der Polizei zu tun gehabt, weder als Opfer noch als Täterin. Mein Wissen über die Polizei basierte allein auf medialen Darstellungen, vor allem auf Tatort und Alarm für Cobra 11.
Doch der Polizeialltag weicht deutlich von spektakulären Verfolgungsjagden und spannenden Kriminalfällen ab. Nur etwa jede/r 5. Polizist*in arbeitet überhaupt bei der zivilen Kriminalpolizei. Die meisten Polizist*innen gehören zur uniformierten Schutzpolizei (ca. 80 Prozent), wie auch der Streifendienst oder die Verkehrspolizei (inkl. Autobahnpolizei). In der Polizeiforschung werden meist Streifenpolizist*innen befragt – stellvertretend für alle –, obwohl sich die Arbeitsbedingungen zwischen den Bereichen teils deutlich unterscheiden und die Organisation der Polizei je nach Bundesland variiert (vgl. Groß et al. 2007: 20–37; Groß 2012).[1]
Trotz ihrer Vielfältigkeit, ihrer ständigen Präsenz im öffentlichen Raum und ihrem Wirken als Teil der Exekutive (ausführende Gewalt) war sie für mich stets distanziert, teilweise gar unsichtbar. Diese Distanziertheit scheint nicht nur mein persönliches Empfinden zu sein. Auch in Gesellschaft und Wissenschaft bleibt die Polizei häufig unbeachtet. So war der Polizeiberuf einer der wenigen systemrelevanten Berufe, dessen Wertschätzung während der Pandemie kein Teil öffentlicher oder wissenschaftlicher Debatten war.
Dabei ist das Erleben von Wertschätzung eine grundlegende Erfahrung, die jedes Subjekt benötigt, um Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und Eigenschaften zu entwickeln – ein Vertrauen, das die praktische Selbstbeziehung, also die Selbstschätzung, stärkt (vgl. Honneth 2018: 197–211). Laut Honneth (2018: 209 f.) bedeutet sich gegenseitig wertzuschätzen, „sich reziprok im Lichte von Werten zu betrachten, die die Fähigkeiten und Eigenschaften des jeweils anderen als bedeutsam für die gemeinsame Praxis erscheinen lassen.“ Die Voraussetzung für Wertschätzung besteht in einem gemeinsam geteilten Werthorizont, in dem festgelegt ist, welche Eigenschaften und Fähigkeiten als wertvoll betrachtet werden (vgl. ebd.). Normalerweise wird soziale Wertschätzung als Bestandteil von sozialem Rückhalt aus den Primärbeziehungen (etwa durch Freund*innen und Familie) erfahren (vgl. House 1981) oder sie dient im Arbeitskontext als Belohnung (Gratifikation) für geleistete Arbeit (vgl. Siegrist 2005: 71).
Gerade im Polizeiberuf fungiert soziale Wertschätzung als zentraler Motivator für die Berufsausübung. Umgekehrt führt fehlende Wertschätzung zu Demotivation und Stressreaktionen (vgl. DHPol 2023). Obwohl die Forschungslage zur Wertschätzung im Polizeiberuf äußerst begrenzt ist, wird häufig angenommen, dass Polizist*innen überdurchschnittlich häufig mit fehlender Wertschätzung konfrontiert sind, da sie häufig respektlose Behandlung, Konflikte, Gewalt und Kritik erfahren (vgl. Bauknecht/Wesselborg 2021; DGB 2017).
Diese Forschungslücke hat mich zu meiner zentralen Frage geführt: Inwiefern fühlen sich Polizist*innen im Außendienst für ihre Arbeit wertgeschätzt? Ziel meiner Untersuchung war es, die subjektiv wahrgenommene Wertschätzung durch Bürger*innen, Kolleg*innen und Vorgesetzte zu erfassen. Zusätzlich berücksichtigt wurden der soziale Rückhalt aus dem privaten Umfeld sowie der indirekte Einfluss von Politik und Medien.
Bereits in einem frühen Stadium der Projektplanung wurde mir geraten, vorsorglich ein alternatives Forschungsthema in Betracht zu ziehen – der Zugang zur Polizei gilt als besonders herausfordernd, insbesondere für externe Forschende (vgl. Praunsmändel et al. 2022). Das liegt unter anderem daran, dass sich die Legitimität und Akzeptanz der Polizei auf die positive Wahrnehmung der Bürger*innen stützt, weshalb sie sich durch Kompetenz, Stabilität, Transparenz und Verlässlichkeit auszeichnen muss (vgl. Giljohann/Christe-Zeyse 2015: 253). Dennoch stellte ich eine offizielle Anfrage bei einer Polizeidirektion und bat um die Genehmigung für fünf Leitfadeninterviews mit Polizist*innen aus verschiedenen Außendienstbereichen – darunter möglichst zwei Polizistinnen, um auch geschlechtsspezifische Unterschiede untersuchen zu können.
Überraschenderweise erhielt ich nach Einreichung einiger Unterlagen und kurzer Wartezeit die Zustimmung des Polizeipräsidenten und der Hochschule der Polizei. Auch die Kontaktdaten der jeweiligen Bereichsleitungen wurden mir zur Verfügung gestellt. Die Auswahl der Interviewpartner*innen und die Terminvereinbarungen erfolgten über die jeweiligen Leitungen. Die Interviews fanden vor oder während der Dienstzeit statt, dauerten zwischen 35 und 55 Minuten, wurden transkribiert und im Anschluss mit Hilfe der qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet – eine bewährte Methode zur systematischen und theoriegeleiteten Analyse umfangreicher Textmaterialien (vgl. Mayring 2022: 49–52).
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die befragten Polizist*innen zunehmend respektlose Behandlung und fehlende Wertschätzung wahrnehmen. Sie machen dafür unter anderem eine negative mediale Berichterstattung, politische Entscheidungen sowie gesellschaftliche Entwicklungen wie zunehmenden Individualismus verantwortlich. Dennoch geben sie an, sich insgesamt wertgeschätzt zu fühlen. Diese scheinbare Paradoxie lässt sich auf zwei zentrale Befunde zurückführen: Erstens unterscheiden sich Häufigkeit und Art der fehlenden Wertschätzung und respektlosen Behandlung je nach Außendienstbereich, Geschlecht und äußerem Erscheinungsbild (Uniform vs. Zivilkleidung). Vor allem Streifenpolizist*innen berichten häufig von Respektlosigkeit – Kriminal- und Autobahnpolizist*innen hingegen deutlich seltener. Dies liegt unter anderem daran, dass sie meist nicht uniformiert und dadurch nicht eindeutig als Polizist*innen erkennbar sind. Respektloses Verhalten gegenüber der Polizei dient mitunter auch als Ausdruck allgemeiner Unzufriedenheit mit dem Staat. Zudem berichten weibliche Polizisten von weniger körperlicher Gewalt – ein Befund, der weiter differenziert untersucht werden sollte. Zweitens zeigt sich, dass die Wertschätzung durch das berufliche soziale Umfeld (Dienstgruppe, Vorgesetzte) als besonders bedeutsam erlebt wird. Die (fehlende) Wertschätzung durch Bürger*innen spielt demgegenüber eine untergeordnete Rolle. Der soziale Rückhalt durch Kolleg*innen wirkt als sogenannter Puffer-Effekt, der hilft, mit belastenden Anforderungen des Polizeiberufs – etwa respektloser Behandlung oder traumatischen Einsätzen – umzugehen (vgl. Sieber 2024).
Die vorliegenden Ergebnisse sind jedoch mit Vorsicht zu interpretieren. Sie bedürfen weiterer empirischer Überprüfung. Im Spätsommer 2025 ist eine deutschlandweite Befragung im Rahmen eines standardisierten Online-Fragebogens geplant, um ein umfassenderes Bild zu erhalten. Drücken Sie mir gerne die Daumen!
Wenn Sie Fragen zur Studie haben oder sich fachlich austauschen möchten, freue ich mich über Ihre Nachricht – sei es per E-Mail (laureen.sieber@hsw.tu-chemnitz.de) oder über LinkedIn bzw. ResearchGate.
Laureen Sieber B.A., Chemnitz, Germany, den 08.09.2025
Literatur
Bauknecht, Jürgen/Bärbel Wesselborg (2021): Psychische Erschöpfung in sozialen Interaktionsberufen von 2006 bis 2018, in: Prävention und Gesundheitsförderung, Bd. 17, Nr. 3, S. 328–335, [online] doi:10.1007/s11553-021-00879-0.
DGB – Deutscher Gewerkschaftsbund (2017): Emotionale Belastung im Polizeiberuf, DGB-Index Gute Arbeit, [online] https://index-gute-arbeit.dgb.de/++co++449c4fd0-07dc-11e7-895d-525400e5a74a [abgerufen am 12.07.2023].
DHPol – Deutsche Hochschule der Polizei (2023): Zwischenbericht MEGAVO – Motivation, Einstellung und Gewalt im Alltag von Polizeivollzugsbeamten, polizeistudie.de, [online] https://polizeistudie.de/
Giljohann/Jochen Christe-Zeyse (2015): Kritik an der eigenen Institution. Konsequenzen für die Identifikation von Polizeibeamten, in: Bernhard Frevel/Rafael Behr (Hrsg.), Empirische Polizeiforschung XVII: Die kritisierte Polizei., Frankfurt am Main, Deutschland: Verlag für Polizeiwissenschaft, S. 231–253.
Groß, Hermann/Bernhard Frevel/Carsten Dams (2007): Handbuch der Polizeien Deutschlands, VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Groß, Hermann (2012): Polizeien in Deutschland, in: bpb.de, [online] https://www.bpb.de/themen/innere-sicherheit/dossier-innere-sicherheit/76660/polizeien-in-deutschland/#footnote-target-3.
Honneth, Axel (2018): Kampf um Anerkennung: zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte, 10. Aufl., Suhrkamp Verlag.
House, James S. (1981): Work Stress and social support, Boston, Vereinigten Staaten von Amerika: Addison-Wesley
Mayring, Philipp (2022): Qualitative Inhaltsanalyse: Grundlagen und Techniken, 13. Aufl., Basel, Weinheim, Deutschland: Beltz Verlag. Praunsmändel, Sarah/Stephanie Schmidt/Roman Thurn (2022): Zugang verweigert! Externe Polizeiforschung und Wissenschaftsfreiheit, in: Kritische Justiz, Nomos, Bd. 55, Nr. 3, S. 303–321, [online] doi:10.5771/0023-4834-2022-3-303.
[1] Die Forschung bezieht sich auf die Landespolizeien. Die Bundespolizei, das Bundeskriminalamt und die Polizei des Deutschen Bundestags (Sonderpolizeien) werden nicht berücksichtigt.