Zum Kollektivismusgedanken bei Judith Butler

Judith Butlers „Das Unbehagen der Geschlechter“ aus den 1990er Jahren kann als Wegbereiter der heutigen Auffassung von Geschlecht als sozialer Konstruktion angesehen werden.

Eine soziale Konstruktion von Geschlecht gilt als soziologisch unbestritten. Für die Erziehungswissenschaftliche Disziplin kommt dieser Gedanke im Konzept des doing gender (vgl. Faulstich-Wieland 1999ff.) zum Ausdruck: Die Herstellung des sozialen Geschlechts durch Sozialverhalten im schulischen Unterricht, hauptsächlich empirisch nachgewiesen im Rahmen von koedukativen Settings (vgl. Faulstich-Wieland et. al 2004).

Butler spricht sich im Philosophie Magazin Nr. 02/2023 offen für den Sozialismus als Gesellschaftsform aus, begründet in ihren Erfahrungen während der Corona-Pandemie in der US-Gesellschaft. Die sozialistische Gesellschaftsform stellt meines Erachtens keine Basis für die Institution Schule in Europa dar. Aus ideologischen Gründen ist Butler für eine bildungstheoretisch begründete Pädagogik daher abzulehnen – sie stellt keine entsprechenden Reflexionsansätze zur Verfügung, da sie demokratische Grundhaltungen missachtet.

Was bleibt von Judith Butler für heute?

Das berechtigte Hinterfragen einer heterosexuellen Matrix, den Anteil performativer Sprachakte daran sowie die Erkenntnis, dass Geschlecht als Analyse-Kategorie für die Erziehungswissenschaft immer noch relevant ist.

Martina Wehling, M.A., Bremen, Datum der Veröffentlichung 04.08.2023

Literaturverzeichnis

Butler, Judith. 1996. Das Unbehagen der Geschlechter. Suhrkamp

Butler, Judith. 2023. Einige Leben für das Wohl aller zu opfern, erscheint mir faschistisch. Ein Interview. Philosophie Magazin Nr. 02/2023, das Interview führte Helena Schäfer. Berlin. Philomagazin Verlag GmbH

Faulstich-Wieland, Hannelore; Horstkemper, Marianne. 1995. Trennt uns bitte, bitte, nicht! Koedukation aus Mädchen- und Jungensicht. Opladen: Leske + Budrich Verlag

Faulstich-Wieland, Hannelore. 1999. Koedukation heute – Bilanz und Chance. In: Horstkemper, Marianne; Kaul, Margret (Hg.). Koedukation. Erbe und Chancen. Weinheim: Deutscher Studien Verlag, S. 124-135.

Faulstich-Wieland, Hannelore; Weber, Martina; Willems, Katharina; Budde, Jürgen. 2004. Doing Gender im heutigen Schulalltag. Empirische Studien zur sozialen Konstruktion von Geschlecht in schulischen Interaktionen. Weinheim und München: Juventa Verlag GmbH (Veröffentlichungen der Max-Träger-Stiftung, Band 39).

Faulstich-Wieland, Hannelore. 2004. Doing Gender: Konstruktivistische Beiträge. In: Glaser, Edith; Klika, Dorle; Prengel, Annedore (Hg.). Handbuch Gender und Erziehungswissenschaft. Bad Heilbronn: Julius Klinkhardt Verlag. S. 175-191.

Faulstich-Wieland, Hannelore. 2006. Reflexive Koedukation als zeitgemäße Bildung. In: Otto, Hans-Uwe; Oelkers, Jürgen; Bollweg, Petra (Hg.). Zeitgemäße Bildung. Herausforderung für Erziehungswissenschaft und Bildungspolitik. München: Reinhardt Verlag. S. 261-274.